Interview – Die Anfänge des Fahrsicherheitstrainings in Deutschland
Heute gehört das Fahrsicherheitstraining wie selbstverständlich zum Repertoire der Verkehrssicherheitsprogramme der Verkehrswachten. Die Entwicklung des Fahrsicherheitstrainings hin zu den gültigen Standards dauerte jedoch etliche Jahrzehnte. Robert Bauer war einer der ersten Fahrsicherheitstrainer in Deutschland und hat die Entwicklung über die Zeit eng begleitet. Herr Bauer ist Trainer für den ACE - Auto Club Europa. Der Beitrag erschien in der Ausgabe 2-2019 der "mobil und sicher".
Herr Bauer, seit wann sind Sie Trainer?
Das muss 1972 gewesen sein. Die Landesverkehrswacht in Hamburg bot damals ein „Ausbildungsseminar für Schulungsleiter in Sicherheits- und Gefahrentraining“ an. Diese Seminare gab es wohl seit 1970. Nach der Teilnahme war ich „Fahrsicherheitstrainer“.
Was waren die Inhalte Ihres ersten Fahrsicherheitstrainings?
Nun ja, mit der heutigen Ausbildung waren diese Seminare noch nicht zu vergleichen. Man darf in diesem Zusammenhang natürlich nicht den damaligen technischen Stand der Fahrzeuge vergessen. Erst nach und nach beschäftigten sich die Entwicklungsabteilungen mit der passiven Sicherheit (Knautschzone) des Fahrzeuges. Auch der Sicherheitsgurt war noch nicht weit verbreitet. Das Hauptproblem waren daher der Frontalaufprall mit meist oft tödlichen Folgen. Aus diesem Grund war ein wesentlicher Bestandteil des Trainings, mit dem Fahrzeug schleudern zu können.
Das Schleudern (Ăśbersteuern) war Bestandteil des Trainings?
Ja, heute scheint dies unvorstellbar zu sein. Heute versucht man alles zu tun, um das Schleudern eines Fahrzeuges zu verhindern. Damals versuchten wir, durch das bewusste übersteuern des Fahrzeuges den frontalen Aufprall zu verhindern. Das Fahrmanöver bestand darin, die Handbremse zu ziehen und einzulenken. Das Auto schleuderte dann um 180 Grad herum.
Unter welchen Bedingungen wurden die Fahrsicherheitstrainings damals durchgefĂĽhrt?
Von eigenen Fahrtrainingsanlagen, wie sie viele Anbieter heute haben, wagten wir damals noch nicht einmal zu träumen. In der Regel nutzen wir brachliegende Gewerbe- oder Militärgelände. Feste Gleitflächen gab es damals noch nicht. Wir präparierten den Untergrund einfach mit Seife oder Magarine. Teilweise wurde auch Öl verwendet.
Wer legte verbindliche Rahmenbedingungen fest bzw. wie entwickelten sich erste Standards?
Zwischen 1970 und 1973 entwickelte eine von DVR, ADAC und Deutscher Verkehrswacht zusammengestellte Arbeitsgruppe das Programm für ein Sicherheitstraining. Ergebnis dieser Arbeitsgruppe war das erste DVR-Handbuch für Instruktoren. Obwohl die Fahrfertigkeit noch im Vordergrund standen (Schleudern, 180-Grad-Drehung, Driften), gab es Ansätze zur Gefahrenlehre. Der Dreiklang aus „Gefahren erkennen, Gefahren vermeiden, Gefahren bewältigen“ fand zum ersten Mal Erwähnung. Heute ist dies grundlegender Bestandteil der Ausbildung. Apropos Ausbildung, 1973 wurden die ersten 100 Trainer im DVR-Fahrsicherheitstraining ausgebildet – unter anderen auch ich. Bezahlt wurde die Ausbildung übrigens vom Verkehrsministerium.
Herr Bauer, der Markt fĂĽr SHT ist heute riesig. Das war ja bestimmt nicht immer so. Wo sehen Sie einen entscheidenden Impuls fĂĽr diese Entwicklung?
Entscheidend hierfür dürfte gewesen sein, dass die damalige Berufsgenossenschaft „Süddeutsche Metall“ das Fahrsicherheitstraining als präventive Betriebssicherheitsmaßnahme anerkannte und daher bezuschusste. Nach und nach folgten mehr Berufsgenossenschaften diesem Beispiel. Sodass aus dem Zuschussgeschäft der Umsetzer eine kostenneutrale bzw. gewinnbringende Tätigkeit wurde. Infolgedessen stieg die Anzahl der Anbieter für Fahrsicherheitstrainings. Zur Verbreitung trug auch die Entwicklung mobiler Einheiten durch den ACE bei. Trainings konnten nun direkt beim Kunden – eine geeignete Fläche vorausgesetzt – oder auf Plätzen ohne technische Einrichtungen stattfinden.
Das war in den 1980er Jahren, wenn ich nicht irre. Damals legte man im Training noch andere Schwerpunkte als heute. Seit wann gibt es den „neuen“ Ansatz?
Ein wesentlicher Einschnitt dürfte die Studie im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen 1999 gewesen sein. Unter Leitung von Dr. Peter Kiegeland untersuchte die Universität Kassel die Wirksamkeit von Fahrsicherheitstrainings. Die Ergebnisse machten eine vollständige Überarbeitung des Handbuchs notwendig. Ausgangspunkt war ein sich erhärtender Verdacht, dass in den wenigen Stunden des Trainings die Teilnehmer die richtigen Handlungsmuster dauerhaft verinnerlichen konnten, bzw. Strategien zur Risikoreduzierung zu entwickeln. So wurde das Gegenteil erreicht, dass einige Teilnehmer sich nach dem Training für bessere Fahrer hielten und größere Risiken eingingen.
„Gefahren beherrschen“ rückte also in den Hintergrund?
Ja, richtig. Der inhaltliche Schwerpunkt wurde in der Folge auf die zwei Aspekte „Gefahren erkennen“ und „Gefahren vermeiden“ gelegt. Methodische und didaktische Prinzipien bestimmen fortan den Trainingsablauf. Die damals entwickelt methodische Grundstruktur, gegliedert in fünf Phasen und zehn Schritten, dient bis heute als Grundlage. Die Kenntnisse und Erfahrungen der Teilnehmer, die mit einbezogen werden, spielen eine entscheidende Rolle. Bei den Fahraufgaben erfahren die Teilnehmer, dass der Spielraum bei der Bewältigung von Gefahren gering ist. Sie sollen zu einer realistischen Einschätzung von Gefahren und der Grenzen ihres Fahrzeuges hingeführt werden.
Wie entstand schlussendlich der DVR-Standard?
Um einen möglichst einheitlichen Qualitätsstandard unter den verschiedenen Anbietern zu erreichen, entschloss sich der DVR mit seinen Mitgliedern das Fahrsicherheitstraining nach EN ISO 9001 zertifizieren zu lassen. Die Einzelheiten werden im Qualitätsmanagement-Handbuch des DVR geregelt und sind für alle Umsetzer verbindlich. Die Inhalte und Abläufe des SHT werden durch die Arbeitsgruppe SHT fortlaufend aktualisiert und im Trainerhandbuch festgehalten. Daneben wurde zur Vereinfachung der „Moderatorenleitfaden“ zur Durchführung des SHT für die Trainer/Moderatoren entwickelt und fortgeschrieben.
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